Dritte Leseprobe aus meinem Buch ,Migration und Integration. Eine Einführung‘, Springer VS 2018

Aktuell wird viel über ,Heimat‘ diskutiert. Während ,Heimat‘ früher etwas Verstaubtes, Rückwärtsgewandtes an sich hatte, versuchen nun Vertreter_innen aller Parteien den Begriff mit ihren Ideen zu füllen. ,Man darf die Heimat nicht denen überlassen, die Schindluder damit treiben‘, schreibt der Journalist Heribert Prantl im Herbst 2017 in der Süddeutschen Zeitung. Auf die Agenda gerückt ist ,Heimat‘ auch, weil sich die Gesellschaft regelmäßig ihrer selbst, ihrer Identität vergewissert – und zwar vor allem dann, wenn über das Verhältnis zwischen Einheimischen und Menschen mit Migrationsgeschichte laut nachgedacht wird. Befeuert wurde der aktuelle Wettlauf um die Deutungshoheit durch die jüngsten Erfolge populistischer und fremdenfeindlicher Parteien und Bewegungen– genau diejenigen, die Prantl wohl als die ,Schindluder-Treibenden‘ ansieht. Der rhetorische Tanz um den Begriff Heimat geschieht in einer politischen und gesellschaftlichen Situation, in der viele Menschen in Deutschland durch die starke Fluchtzuwanderung in den Jahren 2015 und 2016 verunsichert sind.

Doch auch in der Vergangenheit entfalteten sich quasi konjunkturell Debatten, in denen es unter leicht verschobenen Vorzeichen um die Frage ging, was ,Deutschsein‘ ausmacht, was die deutschen Werte sind, was die ,Leitkultur‘ beinhaltet. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass die Begriffe ,Deutschsein‘ oder ,Leitkultur‘ überraschend hohl sind und wenig feste Substanz bieten.

Dieses Vage der wiederkehrenden symbolischen Debatten um vermeintlich feste Werte und Kulturbestandteile habe ich in meinem Buch im Denkzettel Nr. 6 ,Was bedeutet Deutschsein? Und wie wird man zur/zum ,integrierten Deutschen‘ dargestellt.

Hier geht es zum Denkzettel 6, mit freundlicher Genehmigung des Verlags Springer VS: Kirsten Hoesch – Migration und Integration – Denkzettel 6

Die Form des ,Denkzettels‘ habe ich für mein Buch entwickelt, um in einem kurzen, pointierten Text bei den Leser_innen einen ,Aha-Effekt‘ auszulösen, also ein Aufmerken und Hinterfragen von bislang selbstverständlichen Gewissheiten. Denkzettel leiten Kapitel ein oder bündeln eine Quintessenz. Im Buch finden sich insgesamt 19 Denkzettel, die die verschiedensten migrations- und integrationsbezogenen Themenfelder abdecken.

In meinem Buch findet sich ein weiterer Denkzettel zum Thema Leitkultur. Unter der Fragestellung ,Was ist die ,Leitkultur‘?‘ begebe ich mich auf eine kleine Zeitreise, die zeigt, wie stark auch in Deutschland vermeintlich feste Werte im Wandel sind (Denkzettel 9, S. 115).

Vielleicht ist der Vergleich zur aktuellen Heimat-Debatte auch etwas schief – mir scheint, dass der Heimat-Begriff das Zeug dazu hat, weniger ausschließend zu sein als die ,Leitkultur‘ oder eine Definition des Deutschseins an sich. Denn man kann es auch so sehen: Jenseits aller möglichen komplexen Zugehörigkeitsgefühle identifizieren sich die meisten Menschen mit ihrem Wohnort, mit ihrem Viertel – unabhängig von Nationalität, Aufenthaltsstatus und Anwesenheitsdauer. Es gilt, diese Ebene ganz pragmatisch aufzugreifen und die eigene Heimat im Sinne eines guten Zusammenlebens in einer demokratischen Gesellschaft zu gestalten. Oder wie es die nordrhein-westfälische Heimatministerin Ina Scharrenbach in einem Interview gegenüber der SZ formuliert hat ,Heimat hat offene Arme, sie grenzt nicht aus‘.